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Marvel’s Spider-Man – Test

Publisher: Sony
Release Date: 07.09.2018
Plattformen: PS4, PS4 Pro

Hört ihr ihn auch, diesen lauten Schrei im Hintergrund? Er brüllt immerzu „Lizenzverwertung“, und man kann ihn über das ganze Spiel hinweg vernehmen. Die jüngsten Spider-Man-Verfilmungen kamen bei den Fans nicht so gut an wie erhofft, doch irgendetwas muss mit der teuren Marvel-Lizenz, die Sony derzeit exklusiv innehat, anzufangen sein. Sonys Antwort: ein aufwändiges Open-World-Abenteuer exklusiv für die Playstation 4. Ob es den zahlreichen Vorschusslorbeeren gerecht wird, verrät unser Test.

Egal ob im Film oder bei Spielen, in Sachen Comicumsetzung wirft Batman überall seinen dominanten Schatten voraus. Am dunklen Flattermann muss man sich messen lassen, weil er sowohl im Kino als auch bei den Superheld-Videospielen auf einem schier unangreifbaren Thron sitzt. Bislang ging nichts über Rocksteadys Arkham-Serie. Warum also sollte es also einem Entwicklerstudio zum Vorwurf gemacht werden, wenn es sich an diesem Meilenstein orientiert?

Marvel’s Spider-Man aus dem Hause Insomniac Games schneidet sich unverkennbar die ein oder andere Scheibe von Batman ab. Egal ob Kampfsystem, Schleicheinlagen, Superschurken-Exposition oder das leicht eingeschränkte Open-World-System, all das kommt einem mächtig bekannt vor, auch wenn die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft dem Konstrukt dank expliziter Talente eine ganz eigene Geschmacksrichtung verleiht.

Wo der dunkle Rächer mit dem Greifhaken mühsam von Dach zu Dach springt, schwingt Spidey behände seine Netze, was ihn deutlich flexibler und schneller macht als den Flattermann. Geradezu spektakulär ist es, wenn die allseits belebte Spinne richtig loslegt. In die Tiefe stürzen, kurz vor der Straße abfangen und dann hoch über die Wolkenkratzer schwingen, das verleiht ihm eine ungeahnte Geschwindigkeit samt schwindelerregender Aussicht.

Ebenso mit der Comicverwandtschaft vergleichbar sind die Kampfrunden. Beide Superhelden stellen sich oft einer Überzahl an Schurken, teilen über Kampfkombos ordentlich aus und nutzen ein Frühwarnsystem für Ausweichmanöver und Konter, was bei Spidey sogar noch authentischer wirkt, denn bei ihm klingelt typischerweise der sogenannte Spinnensinn. Spider-Mans Flexibilität spricht für sich. Fausthiebe, Tritte und Flik-Flaks ergänzt er durch Luftakrobatik – mal mit und mal ohne Seil, sowie Gadgets seiner Spinnwebenflüssigkeit, mit denen er Widersacher mal im direkten Schlagabtausch und mal im Stillen an Laternen festklebt, sie entwaffnet oder sie zumindest für ein paar Sekunden kampfuntauglich macht.

Peter und die Spinne

Trotz aller Ähnlichkeiten, von denen es noch mehr gibt, kann Spider-Man auf der PS4 Kontraste zeichnen, die Batman verwehrt bleiben. Allem voran durch sein Alter Ego Peter Parker, der zwar eine untergeordnete, aber keineswegs unwichtige Rolle spielt. So lange Peter die Spinne mimt, geht es um handfeste Action mit viel Klopperei und einer schier endlosen Anzahl neunmalkluger Sprüche. Als Privatperson frönt er hingegen der Forschung, löst kleine Puzzles wie etwa das Verbinden von Schaltkreisen oder geht seiner Tante May in einem Obdachlosenzentrum zur Hand, wodurch diverse Handlungsstränge zueinander finden. Insomniac verschont uns dabei glücklicherweise mit einer Herkunftsgeschichte und taucht gleich in den tieferen Stoff ein.

Tatsächlich hat Spidey bei Spielbeginn schon viele Abenteuer bestanden und lebt in einer Zeitlinie, die weder aus den Comics noch aus einer Filmadaption bekannt ist. Wir befinden uns in der Gegenwart, in der Peter und Mary Jane Watson kein Paar mehr sind und Jay Jonah Jameson nicht mehr Chefredakteur ist, sondern seiner Wut in Internet-Podcasts Luft macht. Dennoch haben viele Ereignisse, die bei anderen Adaptionen zur Basis gehören, noch nicht stattgefunden. Das betrifft besonders die Identitäten einiger Superbösewichte, daher wird an dieser Stelle nichts verraten. Fans und Kennern sei lediglich versichert, dass sie die Handlung nicht aus anderen Quellen kennen. Es geht um eine brandneue Interpretation des Stoffs mit bekannten Elementen.

Der Einstieg in die Handlung ist schnell, fetzig und sprüht bereits vor Charme. Neben Spideys Schenkelklopfern, die er in allen erdenklichen Situationen zum Besten gibt, sind es vor allem die Gesichtsanimationen in den akribisch choreografierten Zwischensequenzen, die augenblicklich eine Verknüpfung zwischen Spieler und Protagonisten herstellen. Trotz Hochspannung und einer in Comicadaptionen nicht unüblichen Portion Technobabble wirkt nichts verkniffen, übertrieben oder peinlich.

Die Darsteller der Zwischensequenzen wirken sogar sehr natürlich und brauchen einen Vergleich mit Uncharted oder The Last of Us nicht zu scheuen, auch wenn auffällt, dass die obere Hälfte der Charaktermodelle wesentlich aufwändiger gestaltet wurde als die untere. Bei manchen Figuren fällt beispielsweise starke O-beinigkeit auf. Nicht selten vertuschen die Grafiker damit, dass auf der unteren Hälfte der Modelle keine Cloth-Renderer aktiv sind.

Aber das ist eine Nebensächlichkeit, die man gerne unter den Teppich kehrt, wenn man sieht, wie natürlich die Bewegungen der Augen und Lippen ausfallen. Lediglich Haare wirken etwas steif. Die deutsche Synchronisation ist über alle Zweifel erhaben, abgesehen davon, dass der Sprecher von Peter Parker und Spider-Man in Paniksituationen zum immer gleichen leichten Krächzen neigt.

Sammelwahn in New York

Die Kategorisierung als Open-World-Abenteuer kann an dieser Stelle falsche Erwartungen schüren. Leider besteht der Handlungsstrang nicht aus modularen Teilen. Es gibt keinerlei Entscheidungsfreiheit, denn die Story verläuft unumstößlich linear. Auf der zuschaltbaren Übersichtskarte New Yorks weist ein übergroßes Symbol stets darauf hin, wo die Handlung fortgesetzt wird und bis auf extrem seltene Ausnahmen steht immer nur ein Ziel zur Wahl.

Dennoch gewährt euch das Spiel einigen Freiraum, denn wenn Spidey kontinuierlich von einem Handlungsschauplatz zum nächsten eilen würde, hätte er es gegen die ständig wachsende und immer diverser agierende Schar an Gegnern sehr schwer. Wer die Fähigkeiten des Helden samt Ausrüstung ausbauen möchte, schaut sich in New York nach defekten Funkmasten um, löst Forschungsaufgaben, sammelt Rucksäcke mit Nostalgieinhalten, fotografiert Sehenswürdigkeiten, versucht sich an besonderen Herausforderungen oder bekämpft zufällig ausgelöste Straßenverbrechen.

Letztere beinhalten Raubüberfälle, Verfolgungsjagden, Schlägereien und Drogengeschäfte, verlaufen aber stets sehr ähnlich. Meist prügelt man kleineren Schergen die Zähne aus der Kauleiste und übergibt sie dann der Polizei. Letztendlich nur eine Fleißaufgabe, wie alle anderen offenen Ziele der Stadt auch. Die Mühe lohnt sich jedoch, denn für all diese Nebenaufgaben erhält Spidey sogenannte Marken, die ihr gegen neue Anzüge mit Spezialfertigkeiten, verbesserte Webshooter und neue Kampfbewegungen eintauscht.

Je weiter das Spiel voranschreitet, desto wichtiger werden jene Fähigkeiten, allerdings kommt ihr auch erheblich schwerer an neue Marken heran. Einerseits steigt die Anzahl der Gegner parallel zur Gefährlichkeit ihrer Bewaffnung, andererseits lassen sie sich mit jeder weiteren Spielstunde schwieriger überlisten. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist es deutlich vorteilhafter, den direkten Schlagabtausch zu meiden. Schleichen, im Verborgenen bleiben, Widersacher hinterrücks aufknüpfen, lautlos bleiben – das sind die Zutaten gewisser Spielpassagen, die man spöttisch „Solid Spider“ nennen könnte. An die Finesse eines Metal Gear reichen sie aber nicht heran. Dazu ist die Aufmerksamkeitsspanne der Gegner zu kurz, ihr Blickfeld zu beschränkt und manchmal auch ihre Ausrüstung zu fortgeschritten, als dass sie mit reiner List zu überwältigen wären.

Der Kampf gegen Superschützen

Dies bringt uns zu den Macken des Kampfsystems. So löblich das System auf den ersten Blick wirkt, weil es reines Buttonmashing bestraft und strategisches Vorgehen belohnt, es wird leider nicht konsequent weitergesponnen. Schon nach ein paar Spielstunden rücken die ersten Horden bewaffneter Schützen an, die so viel Zielwasser getrunken haben, dass buchstäblich jeder Schuss sitzt. Spidey erhält zwar eine Warnung per Spinnensinn, wodurch man den Kugeln ausweichen kann, doch ist dies einzig und allein durch die Ausweich-Bewegung auf dem Kreis-Knopf möglich, was in vielen Situationen heftigen Frust verursacht.

Hier ein konkretes Beispiel: Stellt euch vor, ihr verfolgt das Auto einer dahergelaufenen Straßenverbrecherbande. Die Schützen schaffen es, Spidey mit jedem einzelnen Schuss aus einem fahrenden Auto heraus in rund 100 Metern Entfernung bei fortlaufender Schwungbewegung zu treffen, was an sich schon eine Meisterleistung ist. Richtig frustrierend wird es aber, wenn so ein Meisterschuss sitzt, obwohl unser Held gerade erst in der letzten Zehntelsekunde hinter einem Hochhaus hervorkommt. Trägt Spidey seit neuestem einen Magnetanzug, oder was?

Groteskerweise schießen dieselben Jungs weit weniger genau, wenn sie im Rudel mit Raketenwerfern unterwegs sind. Raketenwerfer in New York? Und dann gleich im Rudel? WTF? Ja, Insomniac lässt keine Gelegenheit aus, einen Schlagabtausch spektakulär zu gestalten. Gegner tragen irgendwann Schilde, Elektropeitschen oder dicke Rüstungen, die jedwede Form von Spinnweben abwehren.

Das ist natürlich der Herausforderung dienlich, und man muss Insomniac zugestehen, dass es nicht einfach ist, einem Übermenschen wie Spider-Man gefährliche Widersacher vorzusetzen. Doch auch mit der bemühten Legitimation über die ausartende Story fällt es schwer, so manche Designentscheidung zu schlucken. Ab und zu wird der Bogen klar überspannt, etwa wenn von zehn Männern auf einem Hausdach fünf Leute Raketenwerfer bei sich tragen.

Zwischen toller Atmosphäre und Oberflächlichkeit

Dieses Symptom ist geradezu typisch für den gesamten Spielablauf. Marvel’s Spider-Man schwankt stetig zwischen arger Übertreibung mit gesteigertem Anspruch und einer geplanten Oberflächlichkeit, in der der Spielverlauf vor sich hin plätschert. Die Atmosphäre ist stets grandios, keine Frage, aber dem spielerischen Aspekt fehlt die rechte Balance. Allein der Fakt, dass man nie etwas suchen muss, sondern dank Scanner alles, was es zu sammeln gibt, auf Knopfdruck findet, nimmt viel von der möglichen Spannung. Und da hört das Geplätscher nicht auf.

So sind etwa alle Stromkreisrätsel, die Peter Parker löst, so einfach gestrickt, dass man notfalls alle Lösungswege einfach durchprobieren kann. Da geht höchstens Zeit verloren, aber die grauen Zellen geraten nicht ins Schwitzen. Gleiches gilt für die gelegentlichen Schleichpassagen mit Mary Jane, die oft als Handlungsüberbrückung herhalten. Das Versteckspiel mit ihr ist derart simpel, dass man es fast im Schlaf bewältigt.

Demgegenüber stehen Drohnen-Verfolgungsjagden, die für einen perfekten Durchlauf eine fast unmenschliche Präzision verlangen, Forts mit etlichen Gegnerwellen, die einem die Geduld aus den Adern saugen – vor allem wenn man bei der letzten Welle wegen eines unglücklichen Kamerawinkels abnippelt und dann vorn vorne anfangen muss.

Auch dass man im letzten Drittel des Spiels nicht einmal in Ruhe durch die Straßen schwingen kann, weil einem alle fünf Sekunden eine zielsuchende Rakete am Hintern hängt, nervt einfach. Einzig die höchst abwechslungsreichen Forschungsmissionen, die stetig neue und interessante Aufgaben in der Stadt vorgeben, wirken hervorragend ausbalanciert. Und von denen gibt es mit unter 20 Stück am wenigsten.

Insomniac setzt auf viel Masse und verliert dabei manchmal die Finesse aus den Augen, was auch an den gelegentlich eingestreuten Quicktime-Events deutlich wird. So manche Tätigkeit, die Spidey hier auf reaktionsschnellen Knopfdruck von selbst ausführt, hätte auch in einer eigenständigen Spielmechanik umgesetzt werden können, etwa das Auffangen eines Helikopters durch das Spannen von Netzen in einer Häuserschlucht. Die Quick-Time Events ermöglichen natürlich spannende Kamerafahrten und trickreich geschnittene Szenenabfolgen, daher ist das nicht zwingend ein negativer Punkt. Aber manchmal wünscht man sich einfach eine gewitztere Lösung.

Fazit

Marvel’s Spider-Man ist ein Spiel mit absolut herausragender Atmosphäre. Das Schwingen durch New Yorks Häuserschluchten bereitet tierisch viel Spaß, die Zwischensequenzen sehen fantastisch aus und im Großen und Ganzen bekommen Spider-Man-Fans genau das, was sie von einer Umsetzung des Stoffes erwarten. Die Handlung ist zwar hier und da etwas überspitzt, aber durchaus spannend und gut vermittelt, was sich sogar bis in die kleinen Szenen während der Ladezeiten fortsetzt. Etwa wenn Spidey sich mit einem Fan in der U-Bahn unterhält.

Auch das Prügeln mit Superschurken und Schergen macht grundsätzlich viel Spaß, weil viele Moves zur Verfügung stehen und das Kampfsystem Buttonmashing durch arge Verwundbarkeit des Protagonisten bestraft. In diesen Bereichen übertrifft Spider-Man sogar den bisherigen Primus Batman. Das schließt jene Passagen ein, in denen der Spinnerich leise und unentdeckt bleiben soll. Die sind nicht sonderlich schwer oder toll ausgearbeitet, verschaffen aber die nötige Abwechslung im Superhelden-Alltag.

Dem gegenüber stehen aber auch einige Faktoren, die in meinen Augen das positive Gesamtbild trüben. Zu simple Puzzles, langweilige Schleichpassagen mit Mary Jane und übertrieben stark ausgerüstete Verbrecher kann ich noch als Atmosphäreverstärker verbuchen. Was aber stört, ist die bisweilen extrem schwankende Spiel-Balance: Innerhalb einer Viertelstunde pendelt das Spiel zwischen ermüdend einfachen und frustprovozierend schweren Aufgaben. Angesichts einer Basis mit sechs Gegnerwellen voller extrem gepanzerter Soldaten fragt man sich, wer hier eigentlich der Superheld ist.

Schützen, die ausnahmslos immer treffen, sofern man nicht per Ausweich-Move davonkommt, sind ebenfalls ärgerlich und sollten durch einen Patch entschärft werden. Was die Sammelwut angeht, bin ich nicht hundertprozentig zufrieden. Der vielzählige Sammelkram liefert ganz nebenbei einen schönen Grund, das riesige New-York-Spielfeld abzugrasen. Allerdings gibt es nichts, was man aktiv suchen muss, da alle Gegenstände auf der Karte eingezeichnet sind. Letztendlich also reine Fleißarbeit.

GamersChoice Wertung

Getestet: Marvel's Spider-Man

Das ist es: Open World Spidey Game von Insomniac Games und das beste Spider-Man Game to date!

  • Handlung
  • Grafik
  • Sound
  • Gameplay
  • Motivation
4.4

Fazit

Marvel’s Spider-Man ist ein Spiel mit absolut herausragender Atmosphäre. Das Schwingen durch New Yorks Häuserschluchten bereitet tierisch viel Spaß, die Zwischensequenzen sehen fantastisch aus und im Großen und Ganzen bekommen Spider-Man-Fans genau das, was sie von einer Umsetzung des Stoffes erwarten.

Pros

  • spaßiges Schwingen durch New Yorks Häuserschluchten
  • tolle Präsentation mit fantastischen Zwischensequenzen
  • spektakuläre Quick-Time-Events
  • durchweg grandiose Atmosphäre
  • cineastisch wirkende Musikuntermalung
  • gut gelöste Steuerung
  • brauchbare Stealth-Talente für Spidey
  • viel Sammelkram
  • viele Upgrade-Optionen
  • etliche Nebenaufgaben
  • spaßige Prügeleien
  • abwechslungsreiche Forschungsmissionen

Cons

  • Schützen treffen immer
  • oft Masse statt Klasse bei dichten Kampfszenen
  • langweilige Schleichpassagen mit MJ
  • oberflächliche Puzzles
  • übertriebene Gegnerstärke im offenen New York
  • gelegentlich ungünstige Kamerapositionen bei Kämpfen
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